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Kinder an die Smartphones!

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Vor ein paar Tagen wischte ich mich durch die Fotogalerie meines Smartphones, auf der Suche nach einem bestimmten Bild. Plötzlich stoppte mein Finger. „Was war denn das?“, schoss es mir durch den Kopf. Auf dem Foto war ein rechtes Bein zu sehen, im blaugeringelten Schlafanzug. Es gehörte definitiv zu meinem Sohn, soviel war klar. Wie aber kam das Bein in die Fotogalerie? Als ich ihn rief und genau das fragte, schaute er mich mit seinem schuldbewussten Blick an: senkte die Augen und ließ Blasen aus seinem Mund blubbern.

Was fragte ich auch so blöd, die Antwort lag ja auf der Hand. Wann immer er eine Gelegenheit fand, „lieh“ er sich mein Gerät aus. Zog es aus meiner Tasche. Stibitzte es, während es zum Aufladen an der Steckdose hing. Oder nahm es beim Vorbeilaufen ganz einfach vom Tisch. Den letzten Versuch hat er wohl unfreiwillig dokumentiert. Mein Sohn ist zweieinhalb Jahre alt. Manche würden nun schreiend zusammenbrechen und ihn für einen perfekten Beleg für ihr ausgemachtes Horrorszenario halten: Wir alle verblöden in der digitalen Welt. Wir sind süchtig nach den Geräten, die uns mit ihr verbinden. Wir verarmen letztlich nicht nur geistig, sondern auch sozial. Und lassen dabei unsere Kinder verwahrlosen.

Einer der führenden Vertreter dieser Auffassung ist Manfred Spitzer. Ein Bestsellerautor mit Arztausbildung und telegener Begabung. Erst vergangenen Montag zeigte er wieder sein ganzes Können, als er in der Sendung „Hart aber fair“ allen die Leviten las, weil sie sich durch das Internet ihre Gesundheit ruinierten. „Die Folgen der Digital-Ära sind weit schlimmer für die Menschheit als es Nikotin je war.“ So lautet seine neuste Devise.

Wie gut, dass ich wenigstens nicht mehr rauche. Ansonsten könnte es um mich nicht mehr schlimmer stehen: Ich habe viereckige Augen, bin fantasiearm, bewegungsfaul, tendenziell verfettet. Asozial. Und das alles nur, weil ich in meiner Kindheit und Jugend mehr ferngesehen habe, obwohl doch damals genügend Fachleute vor den Folgen des Fernsehkonsums gewarnt hatten. Bei mir ist die Fehlentwicklung sogar so weit fortgeschritten, dass ich nur lesen lernen wollte, um in der Fernsehzeitung das Programm und die Anfangszeiten selbst nachlesen zu können. (Wie, Pumuckl ist schon lange vorbei?) Heute trage ich mein Smartphone stets mit mir und lasse meine Kinder auf Youtube Filmchen schauen. Wie sollte so jemand den Nachwuchs vor der digitalen Verblödung bewahren?!

Aber solche Bewahrer braucht es doch gar nicht! Das sagen zumindest die anderen, die auch manchmal im Fernsehen auftreten, zum Glück auch an jenem Montagabend bei „Hart aber Fair“. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar konnte den Spitzers dieser Welt eine einfache und auch beruhigende Erklärung entgegensetzen, zumindest was die Smartphones angeht: „Das ist ein tolles Gerät, das ist Magie“. Es treffe den Nerv der Gesellschaft.

Mein Sohn sieht das genauso. Denn das Gerät reagiert ganz so, wie es in seiner kindlichen Welt auch zugeht: Wenn man mit dem Finger drauf patscht, passiert etwas. Manchmal macht es klick, dann hat man ein Foto, das man anschauen kann. Manchmal macht es Töne. Dann wieder klingelt es und man kann mit Menschen sprechen, die sich darin versteckt haben. Falls es ein Kind geben sollte, das von so einem Gerät nicht fasziniert ist, müsste man sich um dieses Kind wirklich Sorgen machen.

Dürfen meine und andere Kinder in diesen jungen Jahren trotzdem ständig und grenzenlos mit meinem Smartphone agieren? Nein, dürfen sie natürlich nicht. Wenn man ihnen das auf gute Weise klar machen will, dann lebt man es ihnen am besten vor anstatt es ihnen zu verbieten. Man hat selbst sein Smartphone nicht ständig am Ohr oder vor der Nase. Man steckt Zeiten ab, in denen man Fotos anschaut oder aufnimmt, in denen man telefoniert oder chattet. Zwischendurch gibt es viele Phasen, in denen man einfach nur isst, spazieren geht, schläft oder ein Buch liest. Wer verhindern möchte, dass Kinder mit dem Internet verblöden, muss ihnen den Umgang damit beibringen. Am besten so früh wie möglich. Denn die digitale Welt ist ein selbstverständlicher Teil unseres Lebens. Sie wird nicht mehr verschwinden – allen Apokalyptikern zum Trotz.

Und gerade uns Eltern ermöglicht sie einen ungeheueren Fortschritt: Mit der digitalen Technik lassen sich Beruf und Familie besser vereinbaren. Wir sind in der Lage, orts- und zeitunabhängiger zu arbeiten. Um so seltsamer doch, dass uns Eltern ständig ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, wenn sich unsere Kinder auch für diese Technik interessieren.

Die Sozialpsychologin Sonia Livingstone forscht seit 25 Jahren im Bereich Jugend- und Kindermediennutzung. In einer Studie mit Eltern von Kindern im Alter zwischen drei und acht Jahren hat sie festgestellt, dass es viele Eltern als Versagen empfinden, wenn sich ihre Kinder mit dem Smartphone oder auch mit Youtube-Filmchen beschäftigen. „Sogar in diesem digitalen Zeitalter herrscht die Annahme vor, dass gute Eltern ihre Kinder von digitalen Medien fernhalten.“ Sie weist darauf hin, dass mittlerweile jedoch auch die jüngeren Eltern einer Generation angehören, die selbstverständlich mit dem Internet aufgewachsen ist. Die mit der Technik und ihren Daten gut umzugehen weiß.

Statt uns ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen, sollten wir im Gegenteil eine Debatte darüber führen, in welchem Umfang dieser Medienkonsum gut und sinnvoll ist. Das schlägt Livingstone vor. Und dabei mehr Angebote einfordern, die kind- und altersgerecht sind. Klingt sehr plausibel.

 

Quelle:

www.nido.de/artikel/kinder-an-die-smartphones/


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